Im Juni und Juli zeigen wir Peter Schmidts Ausstellung “Wem gehört der Bahnhof”:

 

Peter Schmidts Miniaturen der Arbeitswelt und der sozialen Räume beleuchten spie-
lerisch die Warenwelt und die sozialen Verhältnisse der Gegenwart. Indem seine
Orte an der Grenze von Vergangenem und dem Heute angesiedelt sind ermöglicht
sein Blick aufs Detail, Gefühle, Phantasien und Standpunkte gegenüber unserer so-
zialen Realität zu entwickeln.

 

Der öffentliche Raum Bahnhof wird per Kamera überwacht. Das Bahnhofsle-
ben wird schicker und teurer. Wer es sich nicht leisten kann, bleibt fern oder er wird
entfernt. Ins Bild der Konsumwelt der Gegenwart passen immer weniger Bilder der
Armut. Eine Zunahme der sozialen Gegensätze verlangt eine massivere Abgren-
zung. Der „Bahnhof“ ist ein Beispiel für die Entwicklungen und Veränderungen der öf-
fentlichen Räume unserer Gesellschaft.

 

Dieter Schmidt schreibt zur Ausstellung:

 

Noch vor 15 Jahren beherbergte das Bahnhofsgelände ein beheiztes Wartehäu-
schen, in das sich jeder und jede vor der Kälte flüchten konnte. Hatte der Fahrgast
ein Geschäft zu erledigen, suchte er kostenfrei die öffentliche Toilettenanstalt auf.
Bahnhofsrestaurant und Imbissbude, Zeitungsladen, Bahnhofsvorplatz, Spelunke
und Sex-Shop – der Bahnhof bot sozialen Raum für Reisende und Gestrandete,
Menschen auf dem Weg zur Arbeit, auf Geschäftsreise, zur Verwandtschaft, in den
Urlaub. Oder er war eben auch letzte Station der Armut.

 

Mittlerweile hat sich das Leben im Bahnhofsbereich verändert: Der heutige
Kunde geht an den für ihn bereiteten Platz in eine Espressobar im Ladenbereich.
Das kleine wie große Geschäft wird zum Geschäft, der Mensch zahlt, wenn er eines
zu verrichten hat. War es früher Aufgabe der Bahn, für die Beheizung und das Wohl-
ergehen aller sich in ihrem Bereich Aufhaltenden zu sorgen, erhält der eigenverant-
wortliche Kunde nun eine Serviceleistung. Exklusive Kunden erhalten Eintritt in einen
speziellen Lounge-Bereich. Die Bahn ist für die Sicherheit des reibungslosen Ablau-
fes des Verkaufes zuständig. Sie überwacht per Kamera ihren Teil des öffentlichen
Raumes. Das Bahnhofsleben wird schicker und teurer, erhält Platz für neue Illusio-
nen. Wer es sich nicht leisten kann bleibt fern, oder er wird entfernt. Ins Bild der Kon-
sumwelt der Gegenwart passen immer weniger Bilder der Armut. Eine Zunahme der
sozialen Gegensätze verlangt eine massivere Abgrenzung. Und wer zahlt hat recht:
Er beeinflusst die Entscheidungen wie der öffentliche soziale Raum in der Zukunft
gestaltet wird.

 

Der „Bahnhof“ ist ein Beispiel für die Entwicklungen und Veränderungen der
öffentlichen Räume unserer Gesellschaft.

 

Neue Räume entstehen, mitunter virtuelle (Chatrooms im Internet), während
andere wie das beheizte Wartehäuschen verschwinden. Wer definiert den öffentli-
chen respektive sozialen Raum? Wer entscheidet, wer welchen Raum betreten darf?
Der Mensch? Der Kunde? Wer entscheidet über Veränderungen im sozialen Raum?
Und wer hat überhaupt ein Interesse an einer Veränderung? Lokale, nationale und
globale Räume, Netzwerke prägen das moderne Leben.

 

Über die öffentlichen Räume vor 100 Jahren hat sich Walter Benjamin Gedan-
ken gemacht, die bis heute nicht an Aktualität eingebüßt haben. In liebevollen Minia-
turen beschreibt er Orte des öffentlichen Lebens wie die Pariser Laden-Passagen.
Seine literarischen Bilder führen die Warenwelt, den Luxus und die Armut einer ver-
gangenen Epoche vor Augen. Gerade durch die Sicht auf das Alte, Vergehende,
„Aus-der-Zeit-Genommene“ schärfen sie den Blick auf das soziale Bild der Gegen-
wart – sowohl was das frühere und heutige Lebensgefühl an Orten wie dem Bahnhof
angeht, als auch die möglichen Veränderungen, die noch ausstehen.

 

Ein Vergleich der Arbeitsweise und Absichten des Literaten Walter Benjamins
und des Künstlers Peter Schmidt ist nicht ein Zuviel des Lobes für den Künstler: Pe-
ter Schmidts Miniaturen der Arbeitswelt und der sozialen Räume beleuchten spiele-
risch die Warenwelt und die sozialen Verhältnisse der Gegenwart. Indem seine Orte
an der Grenze von Vergangenem und dem Heute angesiedelt sind ermöglicht sein
Blick aufs Detail, Gefühle, Phantasien und Standpunkte gegenüber unserer sozialen
Realität zu entwickeln.

 

Die Kunst Peter Schmidts ist der Versuch, mit künstlerischen Mitteln ange-
sichts der sozialen Missstände der globalisierten Welt nicht zu resignieren, Hand-
lungsspielräume zu entwickeln und Marcuses politisches Diktum „Weitermachen!“ zu
beherzigen.

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